Außeridische unter uns

Wenn Sie an einem ganz gewöhnlichen Tag spazieren gehen und es Ihnen plötzlich so vorkommt, als hätte Sie ein Polarlicht geblendet, sind Sie höchstwahrscheinlich Ivars Gravlejs begegnet. Im Gegensatz zur Mehrheit der Vertreter der tschechischen Intellektuellen und der übrigen Gesellschaft ist er nicht der Meinung, dass schwarz, grau und andere depressive Farben besonders elegant erscheinen (anarchisch, zurückhaltend, unempfindlich usw. Die Wahl überlasse ich dem Leser) oder ein demonstrativ abfälliges Verhältnis zu Kleidung darstellen . Seine knallorangenen Hosen, der tiefblaue Rucksack mit Superman und/oder Jesus Christus darauf, und schließlich der direkte, offene Blick, der keine Depression kennt, offenbaren in ihm einen Außerirdischen. Obwohl er zehn Jahre in Prag gelebt hat, fanden sein einfühlsamer, empfindsamer Geist und sein Organismus hier auf keine Weise totale Harmonie. Nach langer Sinn ssuche, einigen Erfolgen und Ereignissen beschloss Ivars, nach Riga zu fahren, wo er, seiner Behauptung nach, 1979 geboren wurde. Doch ein Außerirdischer zu sein, ist überall gleich schwer. Als er ein Jahr in dem Land verbracht hatte, von dem die meisten nur wissen, dass es neben Litauen liegt und mit dem es ständig verwechselt wird, kehrte er nach einer Zeit der erschütternden Erfahrungen, Bestürzungen und Enthüllungen zurück. Und jetzt hat Prag seinen Außerirdischen wieder, der in den Medien meist der „junge, aber schon ziemlich bekannte lettische Fotograf“ genannt wird.

Ivars und andere

Man kann sich die sinnvolle Frage stellen — Warum beschließe ich, dass Ivars Geschichte nur erfunden ist? Es reicht aus, sich sein Projekt Lettische Jungen und Mädchen anzusehen, eine Sammlung von Fotografien, die Ivars auf einem bekannten lettischen Kontakt- und Bekanntschafts-Portal gesammelt hat. Man sieht junge, rosa-prunkvolle Mädchen, die träumerisch ihren Teddy, den Baum neben ihnen oder sich selbst umarmen und dabei die eintönig nachgezogenen Augen verdrehen. Sie posieren mit einer Flasche Bier und stellen ihre kaum mit den Händen bedeckten Brüste zur Schau. Aufgepumpte Jungen mit in den Rücken übergehendem rasiertem Nacken demonstrieren dort ihre Muskeln, Schlüssel, Schlüsselbeine, Unterhosen, Dollarnoten und Mobiltelefone. Und jetzt sehen Sie sich Ivars an — können Sie auch nur eine Ähnlichkeit mit den lettischen Jungen und Mädchen entdecken? Na, also! Sie auch nicht. Und als Sie entdeckten, dass Ivars diese Werke der Selbstpräsentation auf seiner Seite ausgestellt hat, regten Sie sich furchtbar auf und begannen, ihm zornige Briefe zu schreiben, als ob Sie vergessen hätten, dass Sie selbst Ihr Foto ins Internet gestellt haben.

Ivars und die Mystifikation

Im Allgemeinen muss man feststellen, dass die Mystifikation einer der Hauptkunstgriffe von Ivars ist. So auch das eindrucksvolle, bei den Betrachtern beliebteste Projekt Meine Nachrichten (2009), das aus seiner Arbeit als Fotograf bei der Zeitung Pražský deník entstand. Aber nur das zu fotografieren, was wirklich notwendig war, fand Ivars zu langweilig. Und so begann er, die Aufnahmen zu seiner eigenen Freude zu „verbessern“ und zu verändern. In seinem Innern war er neugierig, ob jemand seine Einmischung in den Raum der Fotografie bemerkte. Ob es sich lohnt, darüber zu sprechen, dass die Hinzufügung einiger Knöpfe am Hemd eines Politikers, die unglaubwürdige Anzahl von Steckdosen oder eine überflüssige Etage am Karlsteinturm unbemerkt blieben. Es ist schwer zu glauben, aber selbst eine historische Schubkarre, von der n nach Ivars Eingriff nur die Hälfte übrig blieb, rief bei niemandem Entrüstung hervor. In einigen Fällen hatten diese „überflüssigen“ Details einen „sinnvollen“ Charakter. Einmal schickte man Ivars los, einen Stau zu fotografieren, der sich dann doch nicht dort bildete, wo er sollte. Es gab nur zwei Lösungen: eine Sperre auf der Straße zu errichten, oder nach Hause zu gehen und dort in aller Ruhe den Stau im Photoshop zu produzieren — Hauptsache, die liebe Redaktion war zufrieden.

Außer der Verkehrssituation sorgten die Redaktion noch zwei grundlegende Probleme — Müll und Ausländer. Schlussendlich hatte Ivars es satt, der Ausländer in der heimischen Zeitung zu sein, wo man ihn regelmäßig mit einem Gesichtsausdruck, als würde man gleich in Ohnmacht fallen, fragte: „Sind sie kein Tscheche?“

Ivars und Riga

Und so beschloss er, sich seinen langen Traum zu erfüllen und in seine Heimat, nach Lettland zurückzukehren. Zusammen mit der Künstlerin Petra Pětiletá brach er also in die lettische Hauptstadt auf. Riga ist, außer dass Ivars sie als seine Heimatstadt ausgibt, für einige aufmerksamkeitserregende Fakten bekannt, die für die weitere Entwicklung des Individuums wichtig sind.

Vor allem hier fand die Vorbereitung zu einer weiteren Mystifizierung statt — schon zu jener Zeit, als Ivars vorgab, in einer „normalen“ Schule zu lernen, beschäftigte er sich den Großteil seiner Zeit tatsächlich mit der Dokumentation der ihn umgebenden Wirklichkeit mittels der Fotografie. Dies tat er vorwiegend in der Schule. Er besorgte sich seine erste eigene Kamera, indem er seine Sammlung von ausländischen Pepsi- und Cola-Dosen eintauschte. Die neunziger Jahre standen vor der Tür, Lettland veränderte sich von der Sowjetrepublik hin zu einem unabhängigen Staat Osteuropas. Und in dieser Zeit stellten die Dosen einen unbestreitbaren Wert dar, auf den Ivars noch mehr als einmal in seinen Werken zurückkommen wird. Doch dazu später. Damals in der Schule beherrschte er außer den schnellen Reportage-Aufnahmen auch die Kunstmontage. Als Ergebnis konnte ein Freund wenigstens auf dem Foto sein liebstes Mädchen küssen und das Mädchen selbst konnte völlig ungehemmt nackt sein. Aus den alten Mütterchen, die gewöhnlich auf der Bank saßen, konnte eine Rockgruppe werden, und aus Ivars selbst — ein Reklameheld. Damals wurde ein Werk geschaffen, das den Titel Die beste Fotografie Ivars’ erhielt und auf dem ein mithilfe eines Filzstiftes verbessertes Modell der Welt zu sehen ist. In gewisser Weise erlebte diese Arbeit viele Jahre später eine originelle Weiterentwicklung, als Ivars auf der Prager Biennale 2009 die Arbeit des mexikanischen Künstlers Ruben Gutierrez The best art work in the world (2007) mit seiner eigenen vertauschte. Die animierte Zeichnung von Gutierrez erörtert das gegenseitige Verhältnis von Künstler und Kurator. Ivars hielt sie ungeachtet der Berührung eines wichtigen Themas für schlecht. Seine beabsichtigt fahrlässig und hastig übermalte Kopie der Arbeit von Gutierrez verbesserte und verstärkte seiner Meinung nach den ursprünglichen Gedanken des Werkes. Der Austausch wurde von niemandem bemerkt: Die Arbeit blieb für den gesamten Verlauf der Biennale unter dem Namen des ursprünglichen Künstlers ausgestellt.

Aber wir haben ein wenig vorgegriffen. Nachdem Ivars mit seiner Anwesenheit der Fakultät für Philosophie der Rigaer Universität seine Ehre erwiesen hatte, schrieb er sich an der Prager FAMU (Akademie für bildende Künste, Standfotografie) ein. Er beendete seine Ausbildung im Jahr 2006 mit einer Ausstellung, die die Vorstellungskraft seiner Landsmänner übertraf. Seine Arbeit gab ein detailliertes Bild der Einrichtung, in der er so viele Jahre verbracht hatte. Er vermittelte Erfahrungen und Eindrücke, die er aus beinahe West-Europa mitgebracht hatte. Dabei versteht der unerfahrene Beobachter, wie bei allen Mystifizierungsprojekten Ivars, nicht sofort, dass nicht alles wörtlich zu verstehen ist, obwohl die Herangehensweise einen sehr ernsten Eindruck macht. Das Gebäude der FAMU, der Blick aus dem Fenster, die Portraits der Lehrer, die Tafel der Zensuren, die man sammeln musste, um aufgenommen zu werden – all das flößt einem Achtung ein. Natürlich konnte der Betrachter einen Moment lang von jenem Stand verblüfft werden, an dem eine Sammlung von Fotografien verschiedener Türen und Türgriffe der FAMU zu betrachten war, aber man konnte sich mit dem Gedanken trösten, dass dies schlichtweg das Produkt einer Sammelleidenschaft war.

Ivars und das Sammeln

Auf gleicher Ebene mit den Mystifizierungen — das ist es, was Ivars überaus beschäftigt. (Verständlich, er erforscht unsere Zivilisation in ihren Details, und für Klassifizierungen sind vielfältige Beispiele unumgänglich. Und dann sollte man nicht die positive Erfahrung mit den Coca-Cola-Dosen vergessen). Schauen wir zum Beispiel auf eine Serie von Fotografien, auf denen man Leute mit geschlossenen Augen sieht, das heißt, sie sind versehentlich beim Augenzwinkern aufgenommen worden, oder hier — Beine, in ihrer reichen Vielfältigkeit. Oder zum Beispiel Fotografien, wo das Gesicht des Fotografierten nicht zu sehen ist — es ist verdeckt, übermalt oder einfach nicht da, wie eine Tatsache. (Ich bezweifle, dass dies mit dem Ziel gemacht wurde, die Identifizierungsmöglichkeiten gesichtsloser Objekte/Subjekte zu erforschen). Eine teilweise Nähe zu dieser Serie ist in einer Sammlung von Darstellungen zu sehen, die in den lettischen Zeitungen der neunziger Jahre gefunden wurden. Es treten Personen weiblichen Geschlechts auf, die sich zum Verkauf anbieten. Häufig wirken sie wie Gegenstände, mit verschlossenem Gesicht und ohne individuelle Merkmale, außer den grundlegenden – den geschlechtlichen.

Ivars und Ivars

Es ist unmöglich, die Arbeiten, auf denen der Autor selbst zu sehen ist, außer Acht zu lassen. Gerade die Serienmäßigkeit und absichtlichen Wiederholungen der Sujets oder der Handlungen bringen einen auf den Gedanken, dass dies nichts anderes ist als die Suche nach dem eigenen Selbstverständnis. Eine Serie von Portraits des Autors mit einer Großmutter kann natürlich auf den unerfahrenen Betrachter irreführend wirken. Lehnen Sie sich aber nicht zurück. Hier vor Ihnen liegen scheinbar gewöhnliche touristische Aufnahmen, auf denen der Autor posiert. Aber schauen Sie genau, vor welchem Hintergrund er sich aufnahm! Der Autor hat bewusst einige seltsame Dinge ausgewählt. Auch kann er überzeugend einen normalen Touristen nachahmen, aber er findet sich nicht in unserer Zivilisation zurecht und so wählte er gerade nicht den Hintergrund, vor dem sich Touristen normalerweise fotografieren lassen. Am besten gelang dem Autor die angespannte Pose und der befangene Blick, der dem Fotografierten eigen ist. Aber auch all jene Fehler, vor denen er sich in seinen Nützlichen Ratschlägen für Fotografen zu schützen versucht.

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Noch weiter ging Ivars in seinem Projekt Excuse me, could you please take a picture of me? (Prag 2005). Nichts ahnende Leute fotografierten Ivars, während er sie heimlich mit einer versteckten Videokamera aufnahm. Später wurde die Miniausstellung mit den Momentaufnahmen aus dem Video und den erhaltenen Fotografien direkt an der Tramhaltestelle organisiert, wo Ivars vorher die Leute höflich darum gebeten hatte, ihn zu fotografieren.

Ivars stellt sich selbst in einem knapp dreieinhalbminütigen Film dar. Das einzige, was der Held macht, ist lachen, winken und mit einer idiotischen Stimme „lalala lalala lalalalalala-la – la-la“ singen. Dieses Bild erscheint und verschwindet auf verschiedene Art und Weise. Ivars sagt, dass dies ein origineller Scherz war. Er benutzte alle für die Erstellung eines einfachen Videoclips vorhandenen Effekte und schickte sein Werk zu einem Wettbewerb für Kurzfilme in Lettland. Wie erstaunt war er, als sich herausstellte, dass die Jury ihm einen Preis zugesprochen hatte — für die hohe technische Leistung des Werkes. Danach wurde lange überlegt, wie man sich zu seinem Scherz verhalten sollte, und als man sich am Ende entschieden hatte, hatte Ivars es sich schon anders überlegt und lehnte den Preis ab.

Ivars und Porno

Pornos gegenüber verhält sich Ivars sehr gehemmt. So sehr, dass er eine Neue Welle in der Fotografie erfand, für die ihm das Atelier von Josef Sudek freudig den Preis des Jahres (2007) verlieh. Auf diesen Fotografien sieht der Betrachter malerische Abstraktionen, in denen er nur Pornografisches entdeckt, wenn er die verwandelte Serie bis zum Ende anschaut. Zweifellos war dies so gemacht, um empfindliche Menschen wie Ivars selbst vor den moralisch verkommenen Einflüssen der alles durchdringenden Pornografie zu schützen.

Das gleiche Gefühl durchzog auch sein Projekt Mobile Video (Riga, 2007). Ivars verhielt sich hier ein bisschen anders. Er bot den Besuchern seiner Ausstellung in Riga an, auf den Bildschirm seines Handys zu schauen und überzeugte die Leute davon, dass das, was dort zu sehen war, viel interessanter sei als die Ausstellung drum herum. Wir sehen nicht, was auf dem Bildschirm des Telefons vor sich ging, aber aus den Reaktionen der Umstehenden ist nicht schwer zu erraten, was es war — ein Pornofilm. Jemand riet ihm, sich an einen Arzt zu wenden, ein anderer forderte empört, er solle sich davonscheren. Einige aber sagten, dass es toll wäre, wenn der Bildschirm seines Handys noch größer wäre, und eine wunderbare Unbekannte — wahrscheinlich eine Kuratorin aus Westeuropa oder sogar Amerika – schlug vor, die Arbeit weiterzuentwickeln und sie für die venezianische Biennale einzureichen. Tatsächlich aber machte sie aus irgendeinem Grund keine konkreten Vorschläge und entfernte sich mit einem äußerst freundlichen Lächeln. Alle, denen Ivars das Video zeigte, interessierte es, wo es entstanden sei, und als er antwortete, zu Hause, wirkten die Leute beruhigt, dass vor ihnen nicht ein eingefleischter Vertreter der Pornoindustrie stand, sondern einfach Ivars. In dieser Arbeit mochte ein einfacher Betrachter lasterhafte, orgienähnliche Handlungen erkennen, was völlig falsch ist. Natürlich erklärt Ivars der begrenzten Scheinheiligkeit den Kampf. Er will die Leute verwirren, sie zwingen, sich selbst von der Seite zu betrachten und sich zu schämen — für ihre Gedanken, nicht für Taten.

Ivars und die Realität

Wie schon erwähnt wurde, weckt Ivars gern den Eindruck, dass er sich durch nichts von der Realität unterscheidet. Er fotografiert sie so, als wäre er ein Teil von ihr. Und genau das gelingt ihm auch. Weil alle anderen sie fotografieren und dabei vortäuschen, nicht ein Teil von ihr zu sein. Und wenn sie es doch sind, dann nur ein ganz besonderer Teil. Um sich noch stärker zu maskieren, veranstaltete Ivars die Fotoausstellung Meine Fotografien (Prag, 2005). In diesem Projekt zeigte er, was Leute gewöhnlich machen, wenn sie zum Beispiel einen Hund fotografieren und das Bild mit der Bezeichnung Mein Hund ins Internet stellen. Wo ist denn der Unterschied, fragen Sie? Er liegt im dem bewussten Verhältnis zwischen Spiel und absichtlicher Fahrlässigkeit.

Ivars sammelt Material für seine Fotografien immer und überall „direkt von der Straße“. Ebenso leicht bringt er dies auch zurück. Zum Beispiel druckt er Fotografien aus seinen Sammlungen auf T Shirts, in denen dann Menschen herumlaufen und sich so als unabhängige, mobile Galerie präsentieren, in der die einzelnen Teile nicht mehr voneinander abhängen (Berlin, 2004).

Das Projekt See what I see (2009) war ebenfalls ein Versuch, auf die umgebende Wirklichkeit zu schauen und sie so zu sehen, wie es Leute mit verschiedenen Abweichungen des Sehvermögens tun: grauer Star, Astigmatismus, grüner Star. Ja, das ist eine seltsame Wurst anstelle der Prager Burg — aber es ist das, was ein Mensch mit grauem Star zu sehen bekommt.

Ivars vs. Forevers

Als ich erneut die Dokumentation über das Projekt Forevers anschaute, dachte ich wieder darüber nach, auf welchen „Abschnitt“ oder welche „Richtung“ seines Schaffens dies bezogen sein könne. Am nächsten steht es dem Abschnitt „Sammeln“. Die verschiedensten Würstchen eines Herstellers mit dem lebensversichernden Namen Forevers, aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen und in künstlerischen Kombinationen angeordnet, mag man nicht der Abteilung „Umgebende Wirklichkeit“ zuordnen, auch wenn sie uns umgeben. Betrachtet man sie jedoch aufmerksam, abstrakt und aus der Ferne, beginnt man unwillkürlich, über ihre Nähe zum Abschnitt „Porno“ oder, schon etwas weiter, „Shit“ nachzudenken. Im Allgemeinen muss man dem Autor eine gebührende Fertigkeit zugestehen, mit Leichtigkeit in einem Projekt alles, oder wenigstens das Grundlegende der einzelnen Facetten seines vielfältigen Schaffens, zu vereinen.

Und haben wir schon das Thema „Shit“ berührt, kommen wir nicht um ein paar Worte zu der Ausstellung herum, die fast niemand gesehen hat. Sie fand in der Galerie 36 in Olomouc (2009) statt. Die Autoren (Koautor war Avděj Ter-Oganjan), die von Lenka Vítková eingeladen worden waren, kamen in der Absicht, ihre Ausstellung Der 12.° der Kunst zu machen. Doch stellten sie während der Aktion fest, dass sie nicht alles Notwendige aufbringen konnten. Deshalb erarbeiteten und installierten sie unter extremen Bedingungen innerhalb eines Tages das völlig neue Projekt Shit in Art. Als Ausländer, die lange in Tschechien gewohnt hatten, durften die Künstler den besonders zärtlichen Umgang der Tschechen mit Wörtern, die irgendwie mit Exkrementen verbunden sind, nicht außer Acht lassen. Inspiriert von einem tschechischen Sprichwort, das Scheiße, Arsch und Kacke als unsere Marke bezeichnet1, bekannten sie sich dazu, dass ihnen nichts besseres in den Sinn gekommen sei, als den Akt der Defäkation zu vollenden und – Entschuldigung! – „einfach in die Galerie zu scheißen“. Begleitet wurde die Ausstellung von ausführlichem kunstgeschichtlichem Material, das erklärt, wie und auf welche Weise Fäkalien und der Akt der Defäkation von verschiedenen Künstlern in der Vergangenheit verwendet wurden. In ihrer Ansprache drückten die Autoren ihre nicht besonders großen Hoffnungen aus, von den örtlichen Intellektuellen verstanden zu werden. Und im Großen und Ganzen behielten sie mit ihrer Skepsis recht: Zur Eröffnung kamen sechs Personen.

Ivars und Kinder

Da Ivars über einen immensen Reichtum und eine Vielfältigkeit in seinem Schaffen verfügt, ist er zurecht der Meinung, dass dieses der nächsten Generation übergeben werden sollte. Eine seiner Schaffensrichtungen trägt einen ausschließlich humanistischen Charakter. Ivars unterrichtet Kinder in Fotografie und der Dokumentation dieses Prozesses. Ähnlich wie Elle Clarke nahm er an einem Residenzprogramm in Shargorod (Ukraine) teil, überreichte einer Gruppe von zehn Kindern Fotoapparate und veranstaltete mit ihnen ein paar Unterrichtsstunden, in denen er sie das fotografieren ließ, was ihnen wichtig und interessant erschien. Das Video, in dem die Kinder erklären, was es ist — eine Blume, der Freund von Mascha oder Mamas Geburtstag — zeigt uns zum wiederholten Mal die raffinierten Unterrichtsmethoden, mit denen uns Ivars die Realität näherbringt.
Mir scheint es ein gutes Zeichen, dass Ivars die umgebende Welt so interessiert.
Und ich glaube, dass Ivars sie auf der gleichen Ebene interessiert.

1 In der Landessprache: Hovno, prdel, sračka- to je naše značka

Alena Boika, Umělec #1/2011 Volume 15
www.umelec.org